Ökolandbau – aus der Nische in die Masse

Jahrzehntelang galten Ökobauern als Exoten. Heute sind sie Vorbild und Erfolgsmodell für die  gesamte Landwirtschaft. Eine Tatsache, die sich unter anderem mit den von der EU und der  Bundesregierung postulierten Zielen belegen lässt. Dies ist sicherlich einer der größten Erfolge,  die der ökologische Landbau in den rund hundert Jahren seines Bestehens zu verzeichnen hat!

Jahrzehntelang galten Ökobauern als Exoten. Heute sind sie Vorbild und Erfolgsmodell für die  gesamte Landwirtschaft. Eine Tatsache, die sich unter anderem mit den von der EU und der  Bundesregierung postulierten Zielen belegen lässt. Dies ist sicherlich einer der größten Erfolge,  die der ökologische Landbau in den rund hundert Jahren seines Bestehens zu verzeichnen hat!

Das Klima verändert sich schneller als befürchtet. Die Folgen sind bereits heute deutlich sicht- und spürbar. Wenn wir den Temperaturanstieg noch begrenzen wollen, muss die Welt so schnell wie möglich klimaneutral werden. Dies hat auch Konsequenzen für die Landwirtschaft, deren Anteil an den Treibhausgasemissionen in Europa bei rund zehn Prozent liegt. Dabei darf man nicht allein auf den CO2-Ausstoß schauen. Auch das Insekten- und Artensterben, das Tierwohl sowie der Boden- und Grundwasserschutz sind wichtige Themen, die entschiedenes Handeln erfordern. 30 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr 2030 – und damit praktisch eine Verdoppelung – das ist das Ziel der Bundesregierung. Zudem wurde der Ökolandbau endlich zum Leitbild für Nachhaltigkeit erklärt. Denn, so ist auf der Homepage des Landwirtschaftsministeriums zu lesen, „der ökologische Landbau ist eine besonders ressourcenschonende, umweltverträgliche und nachhaltige Wirtschaftsform“. Dem kann man nur zustimmen! Beim Biolandbau geht es nicht nur um die hohe Qualität des Endprodukts, sondern um eine nachhaltige Wirtschaftsweise, um den gesamten Prozess vom Acker bis in den Einzelhandel. So sichern das EU-Bio-Recht und Vorgaben der Bioverbände beispielsweise, dass die Tiere Auslauf bekommen oder Gentechnik und chemisch-synthetische Pestizide tabu sind. Die „Zukunftsstrategie ökologischer Landbau“ der Bundesregierung zielt darauf ab, der ökologischen Land und Lebensmittelwirtschaft neue Impulse zu geben, indem sie Rahmenbedingungen definiert und Handlungsoptionen für die heimische Landwirtschaft eröffnet, die es ihr erlauben, das Wachstumspotenzial des Bio[-Markts besser zu erschließen. Insbesondere sollen europäische Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau weiterentwickelt und konventionelle Betriebe, die sich für eine Umstellung entscheiden, fachlich intensiv begleitet werden. Kantinen sollen dabei unter[1]stützt werden, mehr Bioprodukte anzubieten. Und nicht zuletzt sollen Förderinstrumente entwickelt und die Forschung sowie der Technologie- und Wissenstransfer vorangebracht werden. Auch der „Green Deal“ der EU, wonach die Europäische Union bis 2050 klimaneutral sein soll, wird sich massiv auf die Landwirtschaft auswirken. Das Ziel hier: EU-weit sollen 25 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen auf Ökolandbau umgestellt werden! Damit ist endgültig klar: Biolandbau ist keine Nische für realitätsferne Fantasten, dessen Prinzipien sich nicht in der Breite umsetzen lassen, wie immer wieder behauptet wurde, sondern anzustrebender Goldstandard für die Branche. Ein grandioser Erfolg – bei aller Skepsis, ob die politischen Ziele denn dann auch im nötigen Tempo umgesetzt werden. Klar ist, dass der Erfolg der Agrarwende vom Engagement der einzelnen Mitgliedstaaten abhängt. Gefordert sind nun wirksame Umsetzungsstrategien.

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Böden binden gigantische Mengen CO2
Pflanzen holen CO2 aus der Atmosphäre und binden den Kohlenstoff beim Aufbau von Blättern und Wurzeln. Kohlenstoff wird aber auch im Boden gespeichert. Intensive Landwirtschaft zerstört diese Fähigkeit. Dem will die EU durch regenerative Landwirtschaft (Carbon Farming) begegnen – Land- und Forstwirte sollen eine Entschädigung erhalten, wenn sie dafür sorgen, dass mehr klimaschädliches CO2 im Boden und in Pflanzen gespeichert wird. Es gibt verschiedene Methoden in der Landwirtschaft, mehr Kohlenstoff als „üblich“ zu binden – vom Anbau von Zwischen- und Deckfrüchten über eine stark reduzierte Bodenbearbeitung und dem Einsatz von organischen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln anstelle von synthetischen bis zur Beweidung möglichst vieler Ackerflächen und zum gezielten Humusaufbau. Für all dies steht der biologisch-dynamische Landbau! Nachhaltig und mit Überzeugung – und das spielt eine wichtige Rolle. Denn wenn der finanzielle Vorteil im Vordergrund steht, droht die Gefahr des zu kurzen Atems: Der gespeicherte Kohlenstoff wird schnell wieder freigegeben, wenn man zu exzessiver Bodennutzung zurückkehrt. Zudem ist Entfernen nicht dasselbe wie reduzieren. Wir brauchen einen Systemwandel – der Biolandbau zeigt, wie es geht und steht im Übrigen für viel mehr: für Artenvielfalt, Tierwohl, regionale Wirtschaftsförderung und nicht zuletzt für sinnvolle Arbeitsplätze. Klimaschutz darf nicht auf das Thema CO2 reduziert werden.

Geld, das auf fruchtbaren Boden fällt
ruchtbarer Boden ist die Grundlage allen Lebens. Eine Handvoll gesunder Ackerboden enthält mehr Organismen, als es Menschen auf der Erde gibt. Und dabei ist die Humusschicht meist nur rund 30 Zentimeter stark. Doch ohne sie und die Kraft der Sonne könnten wir uns nicht ernähren. Fast eine Milliarde Tonnen fruchtbarer Boden geht in der Europäischen Union jedes Jahr durch Erosion verloren – man könnte ganz Berlin damit um einen Meter anheben. Hinzu kommt die Verstädterung: Allein in Deutschland verschwinden jeden Tag 30 Hektar Boden unter Asphalt, Pflaster oder Beton. Und dann zerstört auch noch intensive Landwirtschaft ökologisch wert[1]volle Flächen. Der Boden wird zu stark verdichtet, überdüngt und überweidet. Dennoch wird über den Verlust der Bodenfruchtbarkeit fast nur in Fachkreisen diskutiert – und das ohne nennenswerte Folgen. Der Bodenfruchtbarkeitsfonds der Bio-Stiftung Schweiz will das ändern. Der Aufbau und Erhalt der Fruchtbarkeit unterschiedlicher Bodentypen unter allen klimatischen Bedingungen ist eine der komplexesten Aufgaben der Landwirtschaft. Bauern und Bäuerinnen sind Hüter der Bodenfruchtbarkeit – oder sollten es zumindest sein. Dafür brauchen sie viel Wissen, gutes Gespür und eine Menge Handarbeit. Das kostet Zeit und damit auch Geld. Hier setzt der Bodenfruchtbarkeitsfonds an. Götz Werner, der jüngst verstorbene Verfechter des Grundeinkommens, sagte einmal, der Fonds sei quasi die Mutter des Grundeinkommens – ein Einkommen für den Grund. Konkret bedeutet dies, dass Höfe über den Fonds für ihre Maßnahmen in Sachen Bodenfruchtbarkeit bezahlt werden. Jahr für Jahr werden standortspezifische Maßnahmen vereinbart. Gleichzeitig wird die Gesellschaft durch die Öffentlichkeitsarbeit des Fonds sensibilisiert: Der Erhalt und Aufbau der Bodenfruchtbarkeit auf landwirtschaftlichen Nutzflächen ist eine gesamt[1]gesellschaftliche Aufgabe, die nur gemeinsam befriedigend gelöst werden kann.

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Ein großes Netzwerk
Für den Fonds engagieren sich derzeit über 200 Privatpersonen sowie rund 20 Unternehmen und Institutionen. Beide Gruppen zusammen finanzieren die Arbeit. Das Konzept wird von 2018 bis 2025 als Pilotprojekt auf rund 1.500 Hektar bewirtschafteter Fläche am Bodensee in der Schweiz, Deutschland, Österreich und Liechtenstein getestet. Die Erfahrungen fließen dann später in das Hauptprojekt ein. Die 30 beteiligten Höfe erhalten sieben Jahre lang Unterstützung. Fruchtfolgen werden verbessert, Gründüngung intensiviert, Kompostierung optimiert und schonendere Bodenbearbeitungsgeräte angeschafft. Sie bekommen mindestens zweimal jährlich Besuch vom Bodenexperten des Fonds; Entwicklungen und Erfolge werden beobachtet und dokumentiert. Hauptanalyseinstrument ist die Spatendiagnose. Hierzu wird die Ackerkrume etwa 30 Zentimeter tief ausgehoben, fotografiert und Merkmale wie der Feuchte[1]verlauf, die Durchwurzelung und der Verrottungsgrad der sichtbaren organischen Substanz notiert. Die Landwirtinnen und Landwirte entwickeln eine echte Forschungslust, wie es sich bodenschonender arbeiten lässt. Mindestens so wichtig wie das Geld ist für sie aber der länderübergreifende Wissensaustausch, das Ringen um die gemeinsame Sache und dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird. Denn man sieht schon heute: Ihre Anstrengungen sind von Erfolg gekrönt.

Biolebensmittel aus Biosaatgut
Biolebensmittel entstehen heute nur zu 20 Prozent aus Biosaatgut. Stefan Doeblin und weitere engagierte Visionäre fanden 2015, dass das nicht so bleiben darf und gründeten den Verein Lebende Samen – Living Seeds. Seitdem setzt sich der Verein für die Biosaatgutentwicklung ein und sammelt Gelder zur Finanzierung von Projekten zur ökologischen Pflanzenzüchtung im Mittelmeerraum.

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Biolandwirte und -gärtner säen Biosaatgut aus biologischer Züchtung – sollte man meinen. Leider ist das nicht so, weil es auf dem Markt viel zu wenig Biosamen gibt. Na gut, denkt man sich nun vielleicht kompromissbereit, nicht so schlimm – es kommt ja darauf an, was man draus macht. Doch das ist leider nur die halbe Wahrheit. Denn Biobauern brauchen eigentlich Sorten, die speziell auf die Erfordernisse des ökologischen Landbaus angepasst sind.

Biopflanzen müssen robust gegen Krankheiten und Unkräuter sein. Sie müssen auch mit Mangel zurechtkommen, weil es im Biolandbau anders als im konventionellen Landbau Nährstoffe nicht stets im Überfluss gibt. Gut schmecken und wichtige Nährstoffe enthalten sollte Biogetreide, -gemüse und -obst natürlich unbedingt auch. Und die Pflanzen müssen dem Landwirt einen guten Ertrag bringen. Hinzu kommen übergeordnete Ziele des Biolandbaus: so zu wirtschaften, dass die Umwelt geschützt und der Boden verbessert wird, anstatt ihn auszulaugen. Gentechnik und Patente sind tabu, weil Pflanzen für Biozüchter Gemeingut sind und ihnen die Biodiversität ein essenzielles Anliegen ist. Nicht zuletzt sollten die Sorten samenfest beziehungsweise nachbaufähig sein, damit die Landwirte ihre Ernte für die Aussaat im Folgejahr nutzen können, anstatt jedes Jahr Saatgut kaufen zu müssen.

Wenn die Biosaatgutzüchtung und -produktion so wichtig ist, warum steckt sie dann noch immer in Kinderschuhen?

Forschung und Entwicklung in diesem Bereich sind teuer und zeitraubend – mindestens fünf, oft sogar zwölf Jahre muss man für eine neue Sorte einplanen, zwischen 100.000 und einer Million Euro investieren. Doch in der Branche fehlen große Unternehmen, die sich das leisten könnten. Während die Erzeuger von konventionellem Saatgut bis zu 20 Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung investieren, sind es bei Biosaatgut[1]unternehmen nur zwei bis vier Prozent – und das ist zu wenig.

Saatgutprojekte in Südeuropa
Als Stefan Doeblin von diesem Problem hörte, beschäftigte er sich in seinem Brotberuf mit der Entwicklung von Firmen im Bereich IT und erneuerbare Energien. Dass 80 Prozent aller Bioprodukte nicht aus Biosaatgut stammen, wollte er aber nicht hinnehmen. „Ich fand das einfach unglaublich. Saatgut hat für mich etwas Ursprüngliches und neben der physikalischen auch eine geistige Komponente“, sagt er. Das Thema ließ ihn nicht mehr los. Also baute er ein Netzwerk aus Gleichgesinnten auf, die bereit waren, mit ihm zusammen die Vision „100 % bio“ zu verwirklichen. 2015 gründeten sie den Verein Lebende Samen – Living Seeds. „Seither fördern wir die ökologische Pflanzenzüchtung und sammeln Gelder zur Finanzierung von entsprechenden Projekten“, so Doeblin.

Zunächst prüfte er mit seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern, wie man das Thema aus der Nische bringen könne. Sie schauten sich den Biomarkt und die bestehenden Saatgutproduzenten genau an und beschlossen dann, sich in Südeuropa zu engagieren. Dort gibt es kaum Biosaatgut, obwohl die Züchtungsbedingungen eigentlich gut sind: Es ist kein Frost zu befürchten, der plötzlich alles zunichtemachen könnte. Allerdings haben die Landwirte dafür mit immer größeren Hitze- und Dürreperioden zu kämpfen. Auf die sich laufend verschlechternden Klimaverhältnisse zu reagieren und daran angepasstes Biosaatgut zu entwickeln, ist angesichts der langen Entwicklungszeit also dringend nötig. Von den Ergebnissen der Forschung profitieren dann auch andere Länder Europas.

Die Finanzierung der Projekte läuft über die Europäische Union, den Lebensmitteleinzelhandel, der auch morgen noch ein genügend großes Angebot an schmackhaftem Bioobst und -gemüse braucht, sowie Stiftungen wie die MAHLE-STIFTUNG. Sie fördert schon seit ihrer Gründung im Jahr 1964 biologisch[1]dynamische Züchtungsprojekte, bislang aber in Mitteleuropa und mit einem Schwerpunkt auf Getreide.

Bei der Züchtung konzentriert man sich auf effiziente Projekte, die den größten Nutzen bringen und Populationen, die gefragt sind: Gemüse, Kräuter und Leguminosen. Von Vorteil ist, dass die Biosaatgutforschung weniger Finanzmittel erfordert als die konventionelle, weil mit der Natur und nicht gegen sie gearbeitet wird. Die Forschung ist praxisnah. Man setzt auf ein internationales Netzwerk. Projektpartner sind Biolandwirte mit vorzugsweise Demeter-zertifizierten Betrieben, Universitäten, der Lebensmitteleinzelhandel sowie Organisationen, die sich mit der Entwicklung von Biosaatgut befassen. Außerdem arbeitet der Verein eng mit der portugiesischen Saatgutbank INIAV zusammen.

Derzeit laufen zwei Leguminosen-Projekte in Marokko und zwei in Portugal – eines davon in Mertola an der spanischen Grenze und eines in Idana Nova. Projekte in Frankreich und Deutschland sollen folgen. Leguminosen lockern den Boden und binden Wasser sowie natürlichen Stickstoff. Sie laugen ihn also nicht aus, sondern verbessern ihn sogar. Gleichzeitig sind sie Lebens- oder Futtermittel mit vielen wichtigen Nährstoffen.

Genbanken erleichtern die Züchtung.

Weil sich das Klima schneller ändert, als die Züchter hinterherkommen, muss das Entwicklungsverfahren abgekürzt werden – zwölf Jahre Entwicklungszeit sind einfach zu lang. Deshalb arbeitet Lebende Samen – Living Seeds mit Genbanken zusammen; das spart Zeit. Öffentliche Genbanken sammeln genetisches Material von Kulturpflanzen und verwandten Wildarten, die oft Eigenschaften aufweisen, die vielen Nutzpflanzen bei der Zucht im Lauf der Zeit verloren gingen – beispielsweise Resistenzen gegen bestimmte Krankheitserreger, besondere Geschmacks- und Inhaltsstoffe oder die Eigenschaft, sich an sich verändernde Umweltbedingungen gut anpassen zu können.

Lebende Samen – Living Seeds setzt aber noch auf ein ganz besonderes Verfahren: „Samen werden während der Aussaat und Ernte Eurythmiekräften ausgesetzt“, berichtet Stefan Doeblin. Die Methode wurde von Thomas Heinze vom Verein Kultursaat entwickelt. In Portugal setzt er sie gemeinsam mit einem der Züchter ein. „Die Samen werden eingeweicht und nach der Energieeinarbeitung wieder getrocknet“, so Doeblin. „Es ist beeindruckend, welch komplett anderes Produkt man dadurch erhält.“

Biosaatgut: Was darf so genannt werden?

Am 1. Januar 2022 trat die aktualisierte EU-Bio-Verordnung in Kraft – das neue Grundgesetz für die Biobranche. Es besagt unter anderem, dass Biolandwirte künftig in erster Linie Biosaat- und -pflanzgut verwenden müssen. Bis Ende 2035 darf konventionelles Saatgut zugekauft werden, wenn keines in Ökoqualität verfügbar ist – eine Frist, die 2028 überprüft werden soll. Die Samenhersteller müssen also liefern können – eine große Aufgabe.

Doch was ist eigentlich Biosaatgut? Die Wertschöpfungskette lässt sich nicht immer zweifelsfrei nachvollziehen. Hier muss sich die Biobranche klare Kriterien auf[1]erlegen. Bei der Saatgutzüchtung galt bisher das Prinzip DUS: Distinctiveness, Uniformity, Stability – also Besonderheit (anders als andere), Einheitlichkeit (durchgängig gleiche Pflanzen, keine Schwankungen) und Stabilität (folgende Generationen haben die gleichen Eigenschaften). Jetzt sind auch Sorten mit geringerer Homogenität erlaubt – die Vorschriften werden gelockert. „Das ist gut“, sagt Herbert Völkle, Geschäftsführer der Getreidezüchtung Peter Kunz. „Mehr Vielfalt ist sinnvoll. Wenn nicht alle Samen gleich reifen und nicht alles gleich schnell wächst, können sich Krankheiten nicht mehr so schnell ausbreiten.“ Und was zeichnet eine Biosorte aus? „Der Begriff wird derzeit auf EU-Ebene definiert. Sie muss vielfältiger sein – das ist bislang das einzige Kriterium“, so Völkle. „Ergänzt werden sollen – ganz im Sinne der Grundprinzipien des Ökolandbaus – wichtige Kriterien zum Prozess der Entstehung einer Sorte.“

Biolandwirte bedienen sich derzeit aus zwei Quellen: Entweder aus der Biozüchtung – das ist Premium. Oder aus geeigneter konventioneller Züchtung. Nun werden neue Sortenprüfungen eingerichtet. Bedeutet dies, dass konventionell gezüchtetes Saatgut kurzerhand zum Biosaatgut werden kann? „Die Saatgutzüchtung steht vor der gleichen Situation wie vor 30 Jahren die Landwirte. Es ist wichtig, dass nachvollziehbare Kriterien eingeführt werden“, ist sich Herbert Völkle sicher. „Wie die ökologische Landwirtschaft muss auch die Biozüchtung prozess- und nicht rein produktorientiert sein. Es geht nicht nur um die Qualität des Saatguts, sondern auch darum, wie das Saatgut und die Eigenschaften der Sorte entstanden sind.“ Gentechnikfrei zum Beispiel. Nachbaufähig. Und bodenverbessernd. Transparenz und Verbindlichkeit sind gefragt.

Raus aus der Nische zu kommen wird ein Kraftakt für die Saatgutzüchter. Die Landwirtschaft steht vor einer unglaublichen Transformation – wie groß sie ist, ist vielen noch gar nicht bewusst. „Für uns Züchter bedeutet dies, dass wir teilweise neu erfinden müssen, welche Möglichkeiten und Fähigkeiten eine Pflanze bietet. Wir müssen den Landbau resilienter machen und den Beitrag der Landwirtschaft zum Klimawandel reduzieren.“ Gigantische Aufgaben, zu denen die Saatgutzüchtung einen wichtigen Beitrag leisten kann.

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Landwirte gesucht!

Landwirte, die sich aufs Altenteil zurückziehen möchten, haben es schwer, einen Nachfolger zu finden, liest man immer wieder. Will heute wirklich niemand mehr Landwirt werden und einen Hof führen? Doch, schon, aber zu wenige, ließe sich diese Frage vereinfacht beantworten. Umso wichtiger, dass die, die es werden möchten, einen Ausbildungsplatz finden und gut auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe vorbereitet werden.

Die Hofnachfolge ist bei 37 Prozent der Betriebe geregelt – das ist nicht besonders viel, aber immerhin zeigt die Kurve nach oben, denn vor zehn Jahren waren es nur 31 Prozent. Wobei in diesem Zeitraum gleichzeitig die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 40 Prozent abgenommen hat. Zugenommen hat der Anteil der Nebenerwerbshöfe – immer mehr Betriebe erwirtschaften einen Großteil ihres Einkommens nicht mehr mit originär landwirtschaftlichen Tätigkeiten, sondern im Hofladen, als Erzeuger erneuerbarer Energien oder Vermieter von Ferienwohnungen. Gleichzeitig hält der Trend zur Umstellung auf den ökologischen Landbau an. Zwischen 2010 und 2020 hat sich die Zahl der Biobetriebe mehr als verdoppelt. Ihr Anteil, gemessen an der Gesamtzahl aller Höfe, liegt inzwischen bei zehn Prozent*. Landwirte, die sich zutrauen, Verantwortung auf einem Biohof zu übernehmen oder einen Betrieb auf Bio umzustellen, sind also gefragt. Doch Bauer zu sein ist heutzutage mehr denn je eine herausfordernde Aufgabe. Denn als Landwirt muss man nicht nur Experte für Pflanzenbau und Tierzucht sein, sondern gleichzeitig auch noch Betriebswirt, IT-Experte und Vertriebsprofi. Und man muss unzählige EU-Förderrichtlinien, gesetzliche Vorgaben und Verordnungen kennen und um[1]setzen können. Zudem trifft für Landwirte der flapsige Spruch, Selbstständige müssten alles selbst machen und das ständig, tatsächlich zu – sieben Tage die Woche von früh bis spät. Biolandwirte sollten neben dieser Bereitschaft zur Selbstausbeutung dann auch noch ein besonderes Maß an innerer Überzeugung und ideelle Werte mitbringen.

Gestalten sich die Aufgaben der Landwirte immer komplexer, wird in zugehörigen Bereichen die Arbeitsteilung immer extremer – man denke nur an die Saatgutzüchtung. Übernahmen sie die Bauern früher selbst, wird die Züchtung heute von darauf spezialisierten Unternehmen betrieben, wobei die Arbeiten auf dem Feld und im Labor sowie die Datenanalysen so komplex sind, dass sie von jeweils anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgeführt werden, deren Fachwissen immer spezieller wird. Dies wiederum ist ein echtes Problem für die Biosaatgutzüchtung. Denn zum Fachkräftemangel an sich – Konzerne ziehen den Nach[1]wuchs ab – kommt hinzu, dass man hier Leute mit breiterem Wissen als für die konventionelle Züchtung braucht. Hoch kompetente Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die man im Labor und auf dem Feld einsetzen kann. Und die sind rar!

Wollen wir mit dem ökologischen Umbau der Landwirtschaft schnell vorankommen, kommt somit der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für alle Bereiche höchste Bedeutung zu! Das ist auch der MAHLE-STIFTUNG ein wichtiges Anliegen.

*Zahlen: Statistisches Bundesamt (Destatis)
 

Freie Landbauschule Bodensee: Mehr Bewerbungen als Plätze
Die Freie Landbauschule Bodensee e. V. bildet seit über 40 Jahren Landwirtinnen und Landwirte sowie Gärtnerinnen und Gärtner in der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise aus. Doch schon lange überschreitet die Nachfrage bei Weitem die Möglichkeiten der Schule. Gleichzeitig fehlen adäquate Fortbildungsangebote.

Im Sommer 2021 wurde die Kapazität der Schule unter anderem mit Unterstützung der MAHLE-STIFTUNG um 50 Prozent erweitert – sie arbeitet nun zweizügig. Zudem wird eine biologisch-dynamische Fortbildung mit dem Ziel der Meisterprüfung entwickelt und implementiert, um so einen ganzheitlichen Bogen von der Grundausbildung bis zur Ausbildung von Betriebsleitern zu schlagen.

Welch große Aufgabe die Landbauschule mit dieser Erweiterung stemmt, wird erst deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie sie aufgestellt ist. Denn sie ist keine klassische Schule, sondern ein Zusammenschluss von Demeter-Höfen am Bodensee, der nun für weitere Ausbildungsbetriebe geöffnet wurde. Vereint verfolgen alle ein gemeinsames Ziel: den Nachwuchs für die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise zu qualifizieren.

Die in Praxis, Theorie und künstlerische Fächer gegliederte duale Grundausbildung erstreckt sich über zwei Jahre. Die Auszubildenden haben einen Ausbildungsplatz in einem der kooperierenden Betriebe. Dort wird unter Anleitung der Ausbilderinnen und Ausbilder das praktische Wissen vermittelt. Für den theoretischen Teil treffen sich die jungen Leute im Winterhalbjahr zu ganztägigen Wochenkursen auf einem der Höfe. Der Unterricht reicht von den Grundlagen der biologisch-dynamischen Landwirtschaft und der Anthroposophie über Betriebswirtschaft und Vermarktung bis zu künstlerischen Fächern wie Eurythmie und Musik. Im Sommerhalbjahr werden ergänzend Exkursionen und Feldbegehungen angeboten.

Die Themen gehen somit weit über das Curriculum der Berufsschule hinaus. Die Freie Landbauschule betrachtet es nicht als ihre primäre Aufgabe, die Auszubildenden auf die staatliche Prüfung vorzubereiten, dennoch schließen sie ihre Lehrzeit mit der staatlichen Gesellenprüfung ab, in der Regel sogar mit guten bis sehr guten Ergebnissen. Ein besonderes Anliegen ist der Schule aber, die Lernenden ganzheitlich auszubilden und ihren Horizont zu erweitern. Sie sollen die Welt eigenständig wahr[1]nehmen können und befähigt werden, in den vielfältigen Situationen im Umgang mit dem Lebendigen sicher zu agieren. So erhalten sie eine fundierte Grundlage für den Einstieg in ihren spannenden und vielseitigen Beruf.

Ziel der Meisterausbildung wird es dann sein, die Absolventinnen und Absolventen zu befähigen, eigenverantwortlich einen biologisch-dynamischen Betrieb zu führen.

Ein gewünschter Nebeneffekt: Dank der wohl weltweit unerreichten Dichte an Demeter-Betrieben am Bodensee können die an der Landbauschule Lernenden hilfreiche Kontakte knüpfen und ein Netzwerk bilden, auf das sie dann auch im späteren Berufsleben bauen können.

Biodynamische Ausbildung im Süden – eine weitere mutige Initiative
Dass es für Interessierte mit der Freien Landbauschule Bodensee in ganz Süddeutschland nur eine einzige Möglichkeit gibt, biodynamischen Landbau zu erlernen, darf nicht so bleiben, fanden mutige Bäuerinnen und Bauern aus ganz Baden-Württemberg und Bayern. Nach vielen Gesprächen und Treffen bildete sich 2019 der Initiativkreis „Biodynamische Ausbildung im Süden“. Die DemeterLandesarbeitsgemeinschaften schlossen sich der Idee an; ihre Mitglieder unterstützen die Initiative. Im Frühjahr 2020 übernahm der Verein zur Förderung der biologisch-dynamischen Wirtschaftsweise e.V. die Trägerschaft für die neue biodynamische Ausbildung im Süden. Im März 2021 startete der erste Jahrgang. Ziel der Ausbildung ist auch hier, dass Betriebsbereiche eigenständig geführt und Mitarbeiter angeleitet werden können. Die dafür nötigen Grund- und Fachkenntnisse werden in drei Ausbildungsjahren in einem der Freien Landbauschule Bodensee vergleichbaren Konzept praxisnah erarbeitet.

Viel erreicht – genug erreicht?
Gemeinsam bieten beide Initiativen nun eine vielfältige und bereichernde Berufsausbildung im biodynamischen Land- und Gartenbau. Die Kapazitäten haben sich durch die Gründung der Biodynamischen Ausbildung im Süden und die Erweiterung der Freien Landbauschule Bodensee praktisch verdreifacht. Hinzu kommt dort noch das Angebot des Meisterkurses. Jetzt braucht es neben der Begeisterung und einer gehörigen Portion Durchhaltevermögen aber auch die notwendigen Mittel, um die Angebote zu sichern. Stiftungen, die Ausbildungsbetriebe und der Demeter-Verband leisten dazu wichtige Beiträge, weitere Spenden sind hoch willkommen.

Reichen diese beiden Angebote nun aus, um dem Mangel an Gesellen und Betriebsleitern entgegenzuwirken, der sich in absehbarer Zukunft sicher noch verschärfen wird? Ein wichtiger Schritt ist getan. Doch wenn wir es ernst meinen mit den Klimaschutzzielen und der Transformation der Landwirtschaft, brauchen wir noch deutlich mehr engagierte junge Menschen, die sich für den erfüllenden Beruf des Landwirts entscheiden und ihre Höfe zukunftsgerecht biologisch-dynamisch betreiben.

 

Mehr Informationen unter:
ww.gzpk.ch
www.lebendesamen.bio/de
www.bodenfruchtbarkeit.bio
www.landbauschule-bodensee.de
www.biodynamische-ausbildung.de