Bio macht Schule

Der Markt für biologisch erzeugte Lebensmittel wächst – auch in Tschechien.

Der Markt für biologisch erzeugte Lebensmittel wächst – auch in Tschechien. Das ist Wasser auf die Mühlen von Jiří Prachař, Gründer der ersten und bislang einzigen Schule, die eine Berufsausbildung für ökologische und biologisch-dynamische Landwirtschaft anbietet. Darüber hinaus betreibt er seit Anfang 2023 mit fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einen Bio-Bauernhof etwa 15 Kilometer von Prag entfernt.

Auf den ersten Blick ist das landwirtschaftliche Anwesen in Roblín ein ganz normaler Bauernhof. Hühner laufen umher, auf der Wiese grasen Schafe. In den Gewächshäusern gedeihen rot leuchtende Tomaten, auf einem angrenzenden Feld wachsen Kartoffeln. Schaut man hinter die Kulissen, ist hier einiges anders. Neben den fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern arbeiten regelmäßig auch zwei bis drei Absolventen der privaten, seit 2022 staatlich anerkannten Höheren Fachschule für Landwirtschaft „Farmářská Škola“ mit, die Jiří Prachař vor vier Jahren in Prag gegründet hat. Sein Lehr- und Musterbetrieb für ökologischen und biologisch-dynamischen Landbau, so die offizielle Bezeichnung, ist einzigartig in Tschechien.

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PROJEKTDETAILS

Ausbildung in Deutschland

„Wir sind die erste Postgraduiertenschule in der Tschechischen Republik, die eine Ausbildung für ökologische und biologisch-dynamische Landwirte anbietet“, sagt der 36-Jährige nicht ohne Stolz. Darauf hat er gezielt hingearbeitet, ist einen nicht immer einfachen Weg gegangen. Der für ihn bereits als Heranwachsender begann. Jiří Prachař interessierte sich für diese Form der Landwirtschaft, konnte in seinem Heimatland aber keinen Ausbildungsbetrieb oder schulische Angebote finden. So führte ihn sein Weg nach Deutschland – zunächst auf eine Landbauschule Dottenfelderhof in der Nähe von Frankfurt, dann auf verschiedene biologisch-dynamisch arbeitende Bauernhöfe, schließlich zum Studium nach Kassel.

Sieben Jahre lang arbeitet er dann in Deutschland. Sieben Jahre, in denen der Wunsch wächst, die Landwirtschaft in Tschechien auf diesen Pfad zu lenken. Landwirtschaft im Einklang mit der Natur und der Umwelt. „Mir war immer klar, Ausbildung ist der Schlüssel zum Erfolg. Ich muss die jungen Menschen dafür begeistern“, sagt er rückblickend. Also kehrt er zurück in seine Heimat, um sein Projekt anzupacken. Jiří Prachař startet eine Ausbildungsinitiative, orientiert sich dabei an dem System, das er in Deutschland kennengelernt hat.

Unerwartet großes Interesse

„Viele haben uns für verrückt erklärt, von Geldverschwendung gesprochen. In den Sozialen Medien gab es unschöne Kommentare“, so der 36-Jährige. Das Hauptargument: Junge Leute wollen nicht in der Landwirtschaft arbeiten. Doch die Realität straft alle Kritiker Lügen: Im ersten Jahr melden sich 25 junge Männer und Frauen in der privaten landwirtschaftlichen Schule an, die Kapazitätsgrenze ist damit erreicht. Im zweiten Jahr müssen sogar Bewerber abgelehnt werden. Für den praktischen Teil der Ausbildung, auf den Jiří Prachař sehr großen Wert legt, kann er auf Anhieb etwa zehn ökologisch und biologisch-dynamisch wirtschaftende Bauernhöfe in Tschechien finden. „Inzwischen sind es mehr als 40 Betriebe“, freut er sich.

Erfolg beflügelt, und tatsächlich erhält die Farmářská Škola im Oktober 2022 eine staatliche Anerkennung. Aus der privaten Initiative wird eine akkreditierte landwirtschaftliche Schule mit dem Status einer Höheren Berufsschule. Für den theoretischen Unterricht während der dreijährigen Ausbildung stehen inzwischen Räume im Wissenschaftlichen Institut für Pflanzenbau in Prag zur Verfügung, mit der Forschungseinrichtung findet sogar ein intensiver Austausch statt. In einer Aula mit 150 Plätzen dozieren auch Wissenschaftler des Instituts vor den Absolventen der Farmářská Škola – die mittlerweile aus ganz Tschechien und sogar aus der Slowakei kommen. „Aktuell zählen wir rund 100 Studierende, unsere Kapazitäten reichen jedoch für bis zu 250 Personen“, erzählt Jiří Prachař. 20 Lehrkräfte stehen aktuell für den theoretischen Unterricht zur Verfügung.

Ein eigener Bauernhof

Ein Meilenstein in der jungen Geschichte der landwirtschaftlichen Schule ist die Übernahme eines Bauernhofes in Roblín am Rande des Böhmischen Karstes. Im Frühjahr 2022 wird Jiří Prachař von einem Bio-Bauern angesprochen, der seinen Hof verpachten möchte. Etwa 50 Hektar Land bewirtschaftet er bislang vor den Toren von Prag, jetzt sucht er einen Nachfolger. Der Bauer wirtschaftet zwar nicht biologisch-dynamisch, aber auch nicht mehr konventionell, sondern irgendwie dazwischen. Es ist die Geburtsstunde des Lehr- und Modellbauernhofes Bilý Jednorožec (Weißes Einhorn) für ökologischen und biologisch-dynamischen Landbau. Und das soll erst der Anfang sein. Jiří Prachař hat ein klares Ziel: die Demeter-Zertifizierung. Dafür hat er, zusammen mit anderen Landwirten in Tschechien, eine Demeter-Organisation gegründet. Bereits heute arbeiten Jiří Prachař und sein Team nach den strengen Demeter-Vorgaben, aber bis zur Zertifizierung dauert es noch ein paar Jahre.

„Im Februar 2023 ist der Startschuss auf unserem Bauernhof gefallen. Der überwiegende Teil unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ehemalige Absolventen unserer landwirtschaftlichen Schule“, sagt Jiří Prachař. In den ersten Jahren stehen hohe Investitionen an: Maschinen, Umbaumaßnahmen für Seminarräume, Stallungen. Sukzessive wird das Angebot ausgebaut, Rinderhaltung und Milchviehwirtschaft sind als weitere Eckpfeiler des Betriebes geplant. Die Erlöse aus dem Verkauf der Produkte decken jedoch lediglich die Löhne, für die Investitionen ist das Team auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Diese kommt unter anderem von der MAHLE-STIFTUNG.

Bildungsprojekte für Schulklassen

Als Ausbildungseinrichtung der landwirtschaftlichen Schule und Demonstrationsbetrieb für ökologischen Landbau im Rahmen eines Programms des Landwirtschaftsministeriums ist der Bauernhof inzwischen nach tschechischem Recht als gemeinnützig eingestuft. Permanent absolvieren dort zwei bis vier angehende Landwirte der Farmářská Škola ein einjähriges Berufspraktikum, lernen die Arbeit in der biologisch-dynamischen Bewirtschaftung kennen. Auch jungen Menschen, die andere Mittel- und Hochschulen in Prag und der mittelböhmischen Region besuchen, bietet der Lehrbauernhof die Möglichkeit für kürzere Berufspraktika. Darüber hinaus bauen Jiří Prachař und sein Team gerade die nötige Infrastruktur für Öko-Bildungsprojekte auf, damit Schülergruppen hier erste Erfahrungen rund um die ökologische Landwirtschaft sammeln können. „Unser Ziel ist es, auf dem Hof jährlich mindestens 50 Schulungsprogramme für etwa 1250 Schülerinnen und Schüler anzubieten“, sagt er. Auch Bauern, die sich für ökologische und biologisch-dynamische Landwirtschaft interessieren, können an Veranstaltungen auf dem Hof teilnehmen. So wird der Betrieb von Jiří Prachař zu einem Eckpfeiler eines Netzwerks von pädagogischen Demonstrationsbetrieben in der Tschechischen Republik.

Und wie vermarktet der Biohof seine Erzeugnisse? SoLaWi lautet das Zauberwort, was für Solidarische Landwirtschaft steht. Das Prinzip: In Prag und der näheren Umgebung hat Jiří Prachař eine Reihe von privaten Abnehmern gefunden, die einmal pro Woche eine Gemüsekiste erhalten. Den Inhalt bestimmt die Erntezeit – abhängig davon, welches Gemüse, welche Salate und welches Obst gerade reif ist. „Wir beliefern sogar einige Spitzenrestaurants in Prag, die Wert auf ökologisch erzeugte Lebensmittel legen“, berichtet Jiří Prachař.

Ein Umdenken in Tschechien

Mit 50 Hektar zählt der Bauernhof in Roblin zu den kleinen landwirtschaftlichen Betrieben in Tschechien. Bislang dominieren dort Großbetriebe, die hohe Summen an Subventionsgeldern bezogen haben. Das ändert sich nach dem Willen der neuen Regierung, die eine Agrar- und Ökowende vollziehen möchte. Zuschüsse für große Betriebe sollen gedeckelt, stattdessen kleine Betriebe und insbesondere die Bio-Landwirtschaft stärker gefördert werden. Landschaftspflege, Biodiversität und Unterstützung lokaler und regionaler Lebensmittelproduzenten sind weitere Ziele der Politik. Ein Sinneswandel, der Jiří Prachař freut – und der im wahrsten Sinne des Wortes auf sein Ziel einer Demeter-zertifizierten Landwirtschaft einzahlt.

Zur Person

Jiří Prachař studierte nach dem Abitur Heilpädagogik und Therapie in Prag. Schon während dieser Zeit erkannte er die Bedeutung einer Mitarbeit in der Landwirtschaft bei der Therapie von Menschen mit Behinderung. Es folgte ein landwirtschaftliches Studium an der Universität in Budweis. Im Jahr 2014 wechselte Jiří Prachař nach Deutschland an die Landbauschule