Den Rubikon wissenschaftlich verstehen

Ein bedeutender Entwicklungsprozess bei Kindern

Der „Rubikon“ bezeichnet in der Waldorfpädagogik und der anthroposophischen Literatur einen Entwicklungsschritt, der sich beim Kind um das 9. bis 10. Lebensjahr vollzieht. Dabei beginnt das Kind sich selbst und die Welt im Erleben voneinander zu trennen. Der Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin an der Universität Witten/Herdecke möchte gemeinsam mit der Kinderklinik der Universität Tübingen und der Filderklinik sowie dem Fachbereich für Bildungswissenschaften an der Alanushochschule Alfter feststellen, ob es möglich ist, diese Veränderungsprozesse zu fassen und wissenschaftlich zu prüfen.

Entwicklung eines Rubikon-Konzepts

In der mittleren Kindheit treten gehäuft emotionale Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten auf. Die Verletzlichkeit der Kinder in diesem Alter, deren existenzielle Verunsicherungen, deren Impulse zur Abgrenzung und Orientierungssuche werden oft nicht als eine phasenspezifische Entwicklungskrise erklärt. Viele Eltern sind daher verunsichert und fragen sich, ob sie etwas falsch gemacht haben, wenn ihre Kinder etwa davon sprechen, dass sie sich neue Eltern suchen wollen, oder wenn sie plötzlich mit neun Jahren eine Taschenlampe zum Einschlafen benötigen.

Das Projekt „Der Rubikon und seine empirische Überprüfbarkeit als ein bedeutender Bestandteil der Entwicklungsprozesse von Kindern in der mittleren Kindheit“ möchte diese Veränderungsprozesse fassbarer und damit transparenter machen. Es soll dabei untersucht werden, ob der Rubikon überhaupt bei allen Kindern stattfindet, in welcher Altersspanne dieser Prozess eintritt, wovon er beeinflusst wird, was zu seinem Gelingen beiträgt und was ihn möglicherweise hemmt.

PROJEKTDETAILS

In welchen Phasen läuft das Projekt ab?

Zwischen 2012 und 2014 wurden Eltern von Kindern in Waldorf- und Grundschulen, Schulärzte und Betreuer befragt, welche Veränderungen sie an den Kindern wahrnehmen. Aus diesen Erfahrungen wurde ein Fragebogen entwickelt, der folgende Dimensionen umfasst: Abschied aus dem magischen Bewusstseinszustand der Kleinkindzeit, emotionale Verunsicherung, Fähigkeit zur Abgrenzung, Entwicklung eigener Impulse und physische Dimensionen. Dieser Fragebogen soll helfen, die Veränderungen in der mittleren Kindheit als einen normalen psychophysiologischen Entwicklungsprozess wahrnehmbar zu machen. Der Fragebogen wird an insgesamt ca. 1.000 Eltern verteilt und in jahrgangsübergreifenden Elternabenden sollen das Forschungsprojekt und die bisherigen Forschungsergebnisse vorgestellt werden. Teilnehmende Eltern werden gebeten, den Fragebogen dreimal jeweils im Abstand von 3 bis 4 Monaten auszufüllen. Nach Ablauf eines Jahres werden die teilnehmenden Eltern zum Abschluss-Elternabend eingeladen, bei dem die Gelegenheit zu persönlichem Feedback und Austausch besteht.

Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin der Universität Witten/Herdecke

Der Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin der Universität Witten/Herdecke verfolgt mit seinen Forschungsprojekten unmittelbar medizintheoretische Fragestellungen, zu denen auch die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen physiologischen und entwicklungspsychologischen Fragestellungen gehört. 

Weitere beteiligte Einrichtungen

An der Kinderklink in Tübingen hat Prof. Dr. David Martin grundlegende Forschungsarbeiten zur Adrenarche durchgeführt, die ihn auf die Idee gebracht haben, die physiologischen Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung der Nebennierenhormone und den Rubikonphänomenen näher zu untersuchen. Dies haben er und sein Team bereits in Pilotprojekten im Rahmen von Untersuchungen an Waldorfschulen getan, jedoch bemerkten sie bald, dass das Rubikonkonzept erst einer genaueren Charakterisierung und Operationalisierung bedarf, weshalb er dieses Projekt mit Frau Dr. Berger initiierte.    

Prof. Dr. Axel Föller-Mancini ist Waldorflehrer und hat viele Jahre an der Krankenhausschule des Gemeinschaftskrankenhauses in Herdecke gearbeitet, so dass er einen ausgesprochen plastischen Einblick in die Rubikonentwicklung der Kinder hatte, bevor er dann Pädagogik und Entwicklungs-psychologie studierte und anhand von Einzelfallstudien die Zusammenhänge zwischen ADHS, der kindlichen Entwicklung und den Möglichkeiten der Waldorfpädagogik untersuchte. 

Wofür werden die Gelder der MAHLE-STIFTUNG eingesetzt?

Mithilfe der Gelder der MAHLE-STIFTUNG, die das Projekt seit 2012 fördert, wurde die Durchführung der Interviews mit den Eltern, Schulärzten und anderen Betreuern von Kindern sowie die Transkription der Interviews ermöglicht. Des Weiteren konnte ein Symposium und die fachliche Beratung durch Experten finanziert werden. Auch aufwendige Einzelfallanalysen und Studien in der Steinerbibliothek in Dornach waren so möglich. Zudem konnten verschiedene Workshops realisiert werden, in denen die Forschungsdesigns und die jeweiligen Zwischenergebnisse vorgestellt und diskutiert wurden. Für die Durchführung der Akquise an den Schulen und die Dateneingabe wurde eine wissenschaftliche Mitarbeiterin eingestellt. Das Geld der zweiten Förderphase wird für die Validierung des Elternfragebogens eingesetzt.

Kontakt

Dr. Bettina Berger
Forschungs- und Lehrzentrum Herdecke
eine Trägerorganisation des Zentrums für klinische Studien (ZKS)
der Universität Witten/Herdecke
Gerhard Kienle Lehrstuhl für Medizintheorie, Integrative und Anthroposophische Medizin
Gerhard Kienle Weg 4
D-58313 Herdecke
Tel :+49 2330 / 62 47 63
E-Mail: bettina.berger@uni-wh.de